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Sonntag, 8. April 2012

Anhalten bedeutet Aufgeben

Sie rannte. Rannte so schnell sie konnte. Vorbei an den breit grinsenden Menschen die ihr zujubelten. Vorbei an der applaudierenden Menge. Schaute weder nach links noch nach rechts. Rannte einfach weiter. Mit einer Wut im Bauch, die sie immer weiter antrieb. Sie rannte um nicht zu explodieren.
Kreuz und quer durch die Stadt. Der mit rot-weißem Flatterband abgesteckten Strecke folgend. Sie dachte nicht. Funktionierte nur noch. Setzte einen Fuß vor den anderen. Atemzug um Atemzug und Schritt um Schritt dem Ziel entgegen. Doch sie hatte kein Ziel. Das war für die anderen. Für all' die rennenden und lachenden Menschen um sie herum. Die schwitzenden und schnaufenden Menschen, die sie nicht interessierten. Mit ihren unbedeutenden Leben und ihren unwichtigen Problemen.
Sie rannte einfach weiter. Spürte den Schmerz unter ihren Fußsohlen nicht. Und auch nicht das beständige Stechen, knapp unter ihren Rippen. Es war ihr egal. Alles war ihr egal, solange sie rennen konnte.
Das But kochte ihr in den Adern. Es blubberte und zischte, brachte ihre Haut zum pulsieren; doch sie rannte einfach weiter und hielt es davon ab überzuschäumen.
Jetzt fingen die Tränen an zu strömen. Vermischten sich mit dem leichten Nieslregen, der schon seit Tagen anzuhalten schien und spülten ihr den Schweiß vom Gesicht. Sie wuschen alles ab. Die Enttäuschung, den Schmerz und die Verzweiflung. Machten sie frei von allem was sie belastete und ließen sie schneller werden.
Sie hatte sich an die Spitze der rennenden Gruppe gesetzt und obwohl ihre Beine jetzt vor Erschöpfung zitterten, hielt sie nicht an. Denn anhalten bedeutet Aufgeben.
Als sie das Ziel durchquerte jubelten die Menschen. Der Bürgermeister erhob sich, um ihr die Hand zu schüttelt und Kinder überhäuften sie mit Blumen und Geschenken, doch das interessierte sie nicht. Sie rannte weiter. Rannte weiter und ließ diese Menschen, die ihr nicht das Geringste bedeuteten hinter sich. Nicht aufhören zu rennen. Das war ihr Ziel.
Sie öffnete die Augen. "Krebs?" Fragend schaute sie den Arzt an. "Damit komme ich klar."

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