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Freitag, 28. November 2014

Die Philosophie des Glücks

"Ich frage mich, wo wir sein werden wenn wir 33 sind", sagte er und kickte gedankenverloren einen Stein in den Fluss. "33? Wieso ausgerechnet 33?" Ich musste lachen. "Weiß nicht", er grinste, "ist 'ne Schnapszahl. Und ich mag Schnaps." "Idiot" lachte ich und bückte mich um eine Muschel aufzuheben. Schweigend gingen wir weiter am Ufer entlang. Aber es ist kein gutes Schweigen. Ich merkte,dass er mit sich rang. Nach einigen Minuten brach er die Stille: "Nein mal ernsthaft jetzt. Was glaubst du, was dann ist? Wie wird es sein? Wie werden wir sein?" Ich seufzte."Woher soll ich das denn jetzt schon wissen? Das ist noch so lange hin." -"Aber mal angenommen.. Ich meine denk doch mal ehrlich drüber nach. Wo siehst du dich? Wo stehst du dann im Leben?" Er wirkte verzweifelt und ich merkte, dass es ihm wirklich wichtig war. "Okay" antwortete ich. "Lass mich kurz nachdenken. Dreiunddreißig.." Ich ließ mir das Wort im Mund zergehen, versuchte mir vorzustellen, wo ich leben werde, was ich arbeiten werde, wie ich aussehen werde. Hat man mit 33 schon Falten? "Ich denke" begann ich langsam "ich werde auf jeden Fall mein Studium beendet und einen festen Job gefunden haben. Ich habe einen festen, langfristigen Partner oder sogar Ehemann und wer weiß vielleicht habe ich auch ein Kind. Oder zwei oder drei oder dreiunddreißig!" Ich grinste, wollte ihn aufheitern aber ihm war nicht nach blöden Witzen zumute. "Ist es das was du willst? Ein Kind in diese Welt setzen? In diese Welt, die sich die Menschheit grade mehr und mehr selber zerstört? Gut uns wird es, wenn wir Glück haben, vielleicht nicht mehr betreffen, aber die Generation nach uns definitiv." Ich schaute ihn an. "Was meinst du damit?" "Na sieh doch mal: was glaubst du wie lange werden die Ölreserven des Planeten noch reichen? Oder Seen mit Trinkwasser. Wie lange wird es dauern, bis alle leer gepumpt wurden? Das sind keine unedlich verfügbaren Ressourcen. Das ist alles endlich! Und was glaubst du, was dann passiert? Kriege werden ausbrechen. Dann geht es nicht mehr um so banale Dinge wie Religion oder die Erweiterung eines Reiches. Dann geht es ums Horten von Lebensmitteln, ums nackte Überleben." Er warf verzeifelt die Hände in die Luft. "Das ist alles vorhersehbar. Früher oder später wird es so kommen, glaub mir. Und es wird eher früher als später eintreffen. Wer weiß vielleicht sind wir im höheren Alter sogar schon selber davon betroffen." Ich musste schlucken, unterbrach ihn jedoch nicht. "Und in diese Welt würdest du ein Kind setzen wollen? Ein unschuldiges kleines Kind, das nichts für all den Scheiß kann, den ihm frühere Generationen eingebrockt haben und des es jetzt ausbaden darf? Allen Kindern, die in den nächsten zwanzig Jahren geboren werden ist es quasi jetzt schon vorherbestimmt in einem der Wasser- oder Ölkriege einen grausamen Tod zu sterben. Ganz gleich ob als Soldat im brutalen Kampf oder an den schrecklichen Folgen des Hungers, der dann herrschen wird." Er war so aufgebracht. All' diese verstörenden Verschwörungstheorien, die da irgendwo in seinem Kopf herumschwirrten und jetzt an die Oberfläche drangen und dazu noch erschreckend realistisch klangen, machten ihm Angst. Ich blieb stehen. "Mir macht das auch Angst und ich bin mir dieser möglichen Tatsache durchaus bewusst, aber muss man denn alles direkt so schwarz sehen? Er ging noch einige Schritte ohne mich weiter, drehte sich aber schließlich doch zu mir um, so dass wir uns gegenüber standen. "Okay mal angenommen, es kommt nicht alles so tragisch, wie ich es befürchte, würde ich trotzdem kein Kind in diese Welt setzen wollen." "Wieso nicht" entgegenete ich. -"Weil die Welt und die Menschen, die auf ihr Leben auch jetzt schon schlimm genug ist. Es gibt auch jetzt schon genug Kriege, Unterdrückung, Menschenverfolgung, Folter, Seuchen und was weiß ich nicht alles. Und das wird sich definitiv auch nicht ändern oder bessern in den nächsten Jahren; das kannst selbst du nicht behaupten..." Er wirkte so unglaublich niedergeschlagen; ich ging einen Schritt auf ihn zu.
"Komm" sage ich und nehme seine Hand. "Lass mich dir etwas zeigen." Wir stapfen das Ufer hinauf, hin zu einem kleinen Spielplatz der versteckt hinter den Bäumen liegt. "Wir schaukeln jetzt" bestimme ich und ziehe ihn in Richtung Klettergerüst. "Und was soll das bringen" murrt er verdrossen und stapft missmutig durch den leicht feuchten Sand hinter mir her. "Wirst du schon sehen" sage ich und lächel ihn an. Kaum dass wir auf den Schaukeln sitzen, fange ich auch schon an zu Schwingen. "So hoch wie du kannst" rufe ich laut und lege mich ins Zeug. Der Ehrgeiz hat ihn gepackt und nun beginnnt auch er sich angestrengt vor und zurück zu schaukeln. Immer höher und höher. Die Kalte Novemberluft beißt im Gesicht, aber ich will noch mehr. "Schneller! Höher" kreische ich ausgelassen und ruder wild mit den Beinen. Er lacht. Da gleich hab ichs. "Es gibt einen Punkt" rufe ich ihm über den rauschenden Wind hinweg zu "an dem die Ketten der Schaukel nicht mehr straff gespannt sind, weil du zu hoch geschaukelt bist. Das ist der Höchste Punkt den du erreichen kannst. Und wenn du diesen einen Punkt erreicht hast, dann hält dich nichts mehr verstehst du? Du sitzt zwar auf dem Schaukelbrett und hälst dich an den Ketten fest, aber dadurch, dass sie nicht mehr straff gespannt sind fühlt es sich so an, als würdest du völlig frei schweben. Du bist schwerelos. Du fliegst!" Ich jauchze als ich nocheinmal kräftig schwung hole und das Adrenalin durch meinen Körper rauscht als sich die Ketten lockern und ich von nichts gehalten der Sonne entgegen schwinge. Ich schließe, die Augen, als ich für den nächsten Kick Schwung hole. Nur entfernt höre ich sein Lachen neben mir. Auch er hat jetzt den Punkt erreicht und fliegt. Wir schaukeln und Lachen und Kreischen und Jauchzen mit jedem Mal, das uns die Schaukel in Richtung Himmel katapultiert und uns für eine winzige kostbare Sekunde Freiheit schenkt.

Langsam lassen wir uns ausschaukeln und kommen schließlich mit roten Wangen, zerzausten Haaren und leuchtenden Augen nebeneinander zum Stehen. Ich schaue ihn an und lächele. "Siehst du: das ist pures Glück. Und ja du hast Recht, auf dieser Welt gibt es so viel Schlechtes und soviel Unglück aber ich glaube fest daran, dass alles Schöne und Gute, was diese Welt eben auch zu bieten hat, das Schlechte um ein vielfaches überwiegt." Ich stehe auf. "Wenn uns etwas nicht gefällt sind wir diejenigen, die es verändern müssen, wir sind die, die die Theorie vom Glück und nicht vom Unglück weiterverbreiten müssen und wir sind es auch, die Kinder in eben diese Welt setzen müssen, um sie zu einem besseren Ort zu machen.
Er lächelt und drückt mich an sich. "Elende Optimistin du."
Ich weiß, dass ich ihn nicht überzeugt habe, aber er hat verstanden und das ist das Wichtigste. Der nur aus Verständnis können neue Sichtweisen erwachsen
Schweigend gehen wir zurück zum Fluss. Aber dieses Mal, ist es ein gutes Schweigen.

Sonntag, 9. November 2014

Hobbys. -oder- Wenn deine Lieblingsbeschäftigung das pure Sein ist.

Was kannst du. Eigentlich?
Fragt sie.
Was machst du. Eigentlich?
Fragt er?
Was magst du. Eigentlich?
Fragt sie.
Was tust du. Eigentlich?
Fragt er.
Ich singeIchtanzeIchjoggeIchschwimmeIchfilmeIchzeichneIchskateIchkoche.
Antwortet ihr.
IchträumeIchdenkeIchfühleIchsucheIchfindeIchatmeIchliebeIchlache. Ich bin.
Antworte ich.

Das ist doch nichts richtiges.
Irgendwas musst du doch machen.

Ich. lebe.


Donnerstag, 6. November 2014

Heimweg.

Ich schaue. Durch mich hindurch.
Und sehe. Mich.
Zwei verschmierte Plexiglasscheiben. Vor mir. In der Straßenbahn.
Jeden Tag sitze ich hier und beobachte. Mich.
Durch zwei verschmierte Plexiglasscheiben. Vor mir. In der Straßenbahn.
Fettige Fingerabdrücke und farblose Frostspuren spiegeln. Mich.
Linie 18 bis nach. Bonn. Bis nach. Zuhause?
Quatsch.
Nur zwei verschmierte Plexiglasscheiben. Vor mir. In der Straßenbahn.
Die vorgeben. Zu wissen wer. Ich bin.
Das bin ich. Nicht.
Bin ich. Das?
Sieh mich an! Scheibe.
Zwei Gesichter. In zwei verschmierten Plexiglasscheiben. Vor mir. In der Straßenbahn.
Wer bin ich?
Wo bin ich?
Linie 18 bis nach. Köln. Bis nach Zuhause.

Donnerstag, 28. August 2014

Spruch des Tages






















Und das ist der Grund warum ich Flohmärkte liebe und niemals so aussehen werde wie ihr!

Montag, 18. August 2014

Abenteuer

Letztes Jahr waren es meine Fotos.
Dieses Jahr ist es unser Video.

Doch beide zeigen das gleiche.
Ein unglaubliches Erlebnis.
Eine abgefahrene Woche.
Eine wunderschöne Erinnerung.
Ein unvergessliches Abenteuer.

Ladies and Gentlemen, ich präsentiere ihnen ROCK AM RING 2014 (klick!)
In den Hauptrollen: Wir!
Schaut es euch an.

    Danke!! ♥

Montag, 4. August 2014

Langsam

Du fielst mir zum ersten Mal in dem kleinen Café unten an der Straßenkreuzung auf. Damals wusste ich noch nicht wieso. Es lag nicht an deiner Kleidung, du trugst das gleiche, wie alle Serviererinnen des Cafés. Auch nicht an deinen Haaren. Ein schlichter Pferdeschwanz. Nichts auffälliges. Es lag nicht einmal an irgendeiner besonderen Ausstrahlung, die du gehabt hättest. Und dennoch, du fielst mir auf. Direkt als ich das Café betrat.
Ich war hier mit Bea verabredet. Sie hatte gesagt wir müssten "reden". Ich wusste bereits jetzt, worauf das hinaus laufen würde. Mir war schlecht. Doch ich war vorbereitet.
Während sie redete, betrachtete ich die gesamte Zeit meine Schnürsenkel. Ich zählte die abstehenden Fransen, verfolgte das Schnürmuster mit den Augen und tat alles, um diese Schnürsenkel interessanter wirken zu lassen als ihre Worte. Wollte ihr zeigen, dass es mich nicht im geringsten berührte, wenn sie "es einfach nicht mehr spüre" oder fand, dass ich mehr "ein Freund" für sie war. Es sollte bedeuten, dass es mir egal war, dass wir uns "auseinander gelebt" hatten.
Als sie aufstand und ging sagte sie "Es tut mir leid; wirklich.". Aber ich konnte die Erleichterung in ihren Augen sehen. Ich nahm es ihr nicht übel. Wir waren ein schreckliches Paar gewesen. Dennoch. Ich fühlte mich leer als sie das Café verließ.
Ich starrte auf meine Schnürsenkel und hasste sie dafür, dass sie nicht interessant genug waren um meine Gedanken zu übertönen. "Tschuldigung. Möchtest du vielleicht noch etwas trinken?" "W..wwwas?" Ich schreckte hoch. "Ob du noch etwas zu trinken magst. Du siehst aus, als könntest du einen wirklich starken Kaffee vertragen." Sie lächelte. "Ehm.. Also eigentlich.. Ach ja komm scheiß drauf warum nicht. Am besten kippst du gleich ne Pulle Schnaps mit rein." Ich wollte witzig sein. Doch mein Grinsen verrutschte.
Als du zurück zur Theke gingst blickte ich dir hinterher. Irgendetwas an dir faszinierte mich, aber ich konnte immer noch nicht sagen was (Und nein, es war nicht nur dein Hintern.).

Ich weiß, es klingt komisch, aber von diesem Tag an ging ich ständig in das kleine Café unten am Eck, nur um dich zu sehen. Ich war frisch getrennt und eigentlich trafen sich hier immer nur Omis zum Kuchen essen, aber ich konnte einfach nicht anders. Es war als würde mich etwas an dir magisch anziehen.
Auf Dauer schlugen diese Ausflüge ziemlich auf meinen Geldbeutel. Doch du schienst mich zu mögen und deswegen bekam ich an besonders guten Tagen (Oder wenn deine Chefin nicht im Haus war) auch mal den ein oder anderen Kaffee spendiert.
Es war als würde ich eine Studie über dich betreiben. Ich saß zwei Stunden lang einfach nur da und analysierte alles an dir. Von deinen Augen (Sie waren braun. Nicht blau wie Beas) über deine Figur (Wunderschön kurvig aber definitiv keine atemberaubenden Modelmaße) bis hin zu deinen Schuhen (Hellblaue Converse. Und ich war mir sicher dass Bea das gleiche Paar im Schrank hatte). Doch nichts war dabei, was mir erklären könnte warum ich so dermaßen auf dich abfuhr. (Und das tat ich. da war ich mir sicher)

Es sollte drei Wochen ständiger Beobachtung brauchen bis ich es (durch Zufall) heraus fand. Deine Chefin (eine garstige, alte Frau mit Dauerwelle und falschen Fingernägeln) schnautze dich quer durchs Geschäft an. "Verdammt Annabell, der ganze Laden ist voller Kundschaft und du hast noch nichteinmal die Hälfte aller Tische bedient! (Da musste ich ihr leider Recht geben. Es war Sonntagnachmittag. Das Café war gerammelt voll und überall saßen dicke Omis mit ihren quengelnden Enkeln, die nach Kuchen verlangten.) Wenn das so weiter geht, dann muss ich mir hier echt wen anders suchen. Du bist einfach viel zu langsam!!"
Und da machte es 'klick' bei mir. Langsam. Das klingt jetzt vielleicht verrückt, aber genau das war es. Du warst langsam.
Ich war drei Jahre mit Bea zusammen gewesen und von Anfang an war alles ganz schnell gegangen. Unsere Freunde hatten uns einander vorgestellt. Sie machte klar, dass sie an mir interessiert war und 'schwups' hatten wir eine Beziehung. Wie das passiert ist, weiß ich bis heute nicht. Nach grade mal vier Monaten zog sie bei mir ein "Das wurde auch endlich mal Zeit, wir haben mit diesem Schritt schon viel zu lange gewartet."  Wenn wir irgendwo eingeladen waren, war immer ich es, der zu lange im Badezimmer blieb und sie diejenige, die drängelte, wir würden zu spät kommen. Ihr Fahrstil war hektisch und rasant und ihre Schritte und Handlungen schienen immer genau darauf abgestimmt, alles möglichst schnell und ohne großen Zeitverlust zu erledigen. Sogar der Sex war irgendwie immer früh zu Ende (Und ich kann dir versichern, das lag nicht an mir!). Es war, als versuchte sie ihrem eigenen Leben davon zu laufen.
Und dann begegnte ich dir. Grade Bedienungen sind immer dazu angehalten möglichst zügig und präzise zu arbeiten, damit alle Kunden ihre Wünsche schnell erfüllt bekommen. Aber du warst anders. Du schlendertest durch das Café, als hättest du alle Zeit der Welt. Hieltest hier ein Pläuschen mit Oma Gertrud, nahmst dir dort Zeit um Opa Puschkin auf seinen Stuhl zu helfen und bliebst manchmal einfach mittendrin stehen um dem Treiben auf der Straße zuzusehen. Ich fürchte du warst die schlechteste Bedienung der Welt. Doch ich liebte diese Art an dir.

Also beschloss auch ich mir zum ersten Mal seit drei Jahren wieder Zeit für etwas zu lassen. Ich ging zwei Monate lang mehrmals wöchentlich ins Café ohne auch nur jedesmal mehr als zwei, drei Sätze mit dir zu wechseln. Dann, nach neun langen Wochen fragte ich dich, ob du mit mir ausgehen würdest. Die Zeit in der du über diese Frage nachdachtest kam mir vor wie Jahre. "Solange wir nicht in ein dämliches Café gehen gerne." Ich weiß nicht, wer von uns Beiden in diesem Moment breiter grinste.

Wir gingen Rudern im Stadtpark. Fütterten die Enten am Rand des Sees und ich brachte dir bei, wie man die flachen Steine werfen muss, damit sie auf dem Wasser auftitschen. Da du so geduldig zuhören konntest hattest du den Dreh innerhalb weniger Versuche raus. Ich wusste nicht wann Bea mir das letzte Mal andächtig zugehört hatte ohne mich zwischendrin zu unterbrechen.
Als ich dich Abends nach Hause brachte, brannte alles in mir danach dich zu küssen. Doch ich schwor mir ich würde es langsam angehen lassen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie stolz ich danach auf mich war, dass ich mich nicht dazu verleiten lassen habe. Und ich stellte fest: das Gefühl gefiel mir. Ich hatte etwas nicht sofort abgearbeitet, sondern es mir für später aufgehoben. Ich hatte mir etwas behalten, auf das ich mich jetzt freuen konnte.
Ich küsste dich erst nach unserem dritten Date. Und es war gut so. Auch wenn ich kurz verwundert war, als du danach lächelnd flüstertest "Das wurde aber auch mal Zeit." Ich glaube du hast selber nie gemerkt wie langsam du warst, und was das für einen Einfluss auf mich hatte.
Sogar deine Bewegungen waren langsam. Fast anmutig. Für einen Spaziergang um den See brauchte ich mit dir fast zwei Stunden und nicht nur eine, so wie sonst mit Bea. Es faszinierte mich, wie oft du stehen bliebst um etwas zu betrachten. Sei es ein Schmetterling auf einer Blume oder ein Marienkäfer der an uns vorbei flog. In meiner frühreren Eile wäre mir so etwas niemals aufgefallen.

Mit dem Sex wartete ich, bis wir offiziell zusammen waren und dann noch ein paar Wochen danach. In meinen fast dreißig Lebensjahren hatte ich noch nie eine Freundin, mit der ich nicht schon geschlafen hatte, bevor wir überhaupt zusammen waren. Und ich genoß es. Die Vorfreude auf Etwas, machte die Sache nur noch viel bedeutender für mich. Du hattest mich Abwarten und geduldig sein gelehrt, ohne dass es dir je bewusst gewesen wäre.
Die sieben Jahre, die wir zusammen waren, war (und das kann ich mit voller Bestimmtheit sagen) die ruhigste und angenehmste Zeit, die ich bis dahin jemals in meinem Leben hatte. (Du warst die langsamste Braut, die jemals zum Altar geschritten ist. Was vielleicht nicht nur an deiner Art, sondern auch an deinem dicken Bauch gelegen haben könnte.)

Der 30. Mai war ein sonniger Tag und wir hatten beschlossen in der Stadt bummeln zu gehen. Vielleicht noch ein paar letzte Besorgungen für das Kinderzimmer machen.
Ich habe das Auto früh genug gesehen. Zwei lange schnelle Schritte und ich hatte den gegenüberliegenden Bordstein erreicht. Doch du warst stehen geblieben, mitten auf der Straße, in deinem langen sonnenblumengelben Kleid, um einem Vogel nachzusehen. Es war ein Spatz. So nanntest du mich manchmal. Vermutlich wolltest du mich darauf aufmerksam machen.
Die Frau im Auto telefonierte. Sie hatte es sehr eilig zu ihrem Geschäftstermin zu kommen. Außerdem versuchte sie noch etwas Zeit zu gewinnen, in dem sie knapp ("knapp, aber auch wirklich nur ganz knapp" wie sie später im Gerichtssaal beteuerte) über dem Tempolimit fuhr. Ich konnte nichts machen. War viel zu langsam und das Auto viel zu schnell. Du wurdest durch die Luft geschleudert und wie in Zeitlupe (was ironischerweise genau zu dir und deinem Wesen passte) sah ich dich durch die Luft in Richtung Boden segeln.
Den weiteren Ablauf will ich dir lieber nicht schildern. Dafür bin ich nicht hergekommen. Ich wollte dir nur sagen, dass sie das Baby gerettet haben. Sie wurde heute entlassen. Ein Frühchen. Klein und Dünn. Aber gesund. Und am Leben. Ich habe sie Pia genannt. Pia. Piano. Spanisch. Langsam, Sachte. Ich dachte das würde dir gefallen.


Der Mann, der sich langsam vor dem Grabstein erhob wirkte gebrochen. Er stützte sich auf dem kalten Mamor ab. Sein Oberkörper bebte und zitterte. Doch als er sich gefangen hatte, wandte er sich zu dem sonnenblumengelben Kinderwagen neben ihm. Als er das Kind heraus hob, wirkte er plötzlich wieder viel stärker und lebendiger. Mit sanften Bewegungen hielt er das Mädchen so, dass es Richtung Himmel schauen konnte. Es lächelte. Vater und Tochter; sie beide strahlten eine unglaubliche Ruhe und Beständigkeit aus, wie sie einfach nur dort standen und dem Wind in den Bäumen lauschten.


Diese Geschichte ist ein Apell langsamer zu leben in dieser, unserer schnellen und hektischen Welt. Verpasst nicht euer Leben, in dem ihr versucht möglichst viel Zeit zu gewinnen. Haltet lieber öfter zwischen den Augenblicken inne und genießt den Moment.
Doch passt auf, dass ihr dabei nicht zu langsam werdet. Lasst die anderen nicht zu weit vorlaufen und verwechselt Beständigkeit und Innehalten nicht mit Träumen. Achtet auf das, was um euch herum passiert. Seid langsam. Aber seid dabei hellwach. Schließlich sollt ihr euer Leben auch nicht verschlafen.

Montag, 23. Juni 2014

Schicksale.

Es ist Montagnacht. Halb Zwölf. Und ich sollte endlich mal Schlafen gehen.
Seufzend klappe ich mein Buch zu und lege es auf den Nachttisch. Eigentlich viel zu Schade mitten im Kapitel aufzuhören. Aber ich muss morgen früh raus. Ich lösche das Licht und rolle mich auf die Seite.
...
Ach scheiß drauf. Wenigstens ein Kapitel noch. Ich mache das Licht wieder an und greife mit eiligen Bewegungen nach meinem Buch. Ich kann es kaum erwarten, wie es weiter geht. Wird er noch rechtzeitig ankommen? Ich gehe durch die Nacht, meine Beine tragen mich, bewegen sich unermüdlich, Kilometer um Kilometer. Mein Fenster ist offen. Von draußen höre ich Geschrei. Es nervt. Aber nicht zu sehr, als dass ich aufstehen würde, um das Fenster zu schließen. Die Sohlen meiner Schuhe berühren den Boden kaum, gleiten über Das Gebrüll ist lauter als sonst. Es klingt als würden sich zwei Männer streiten. Verdammte Hochhaussiedlung. Ich versuche mich zu konzentrieren. gleiten über den Asphalt. Da ist ein großer dunkler Parkplatz, auf dem nur ein einziges Auto Gott sind die laut. Ich überlege das Fenster doch zuzumachen. Muss ein echt heftiger Streit sein heute. Ich höre eine Frau schreien. auf dem nur ein einziges Auto steht. Ein Auto dessen Tür aufgestoßen wird, als ich Was war das? Ich lausche in die Dunkelheit. Drehe meinen Kopf zum Fenster hin. Bin mir sicher ein Kind weinen gehört zu haben. Da schon wieder. Zu laut, zu deutlich um überhört werden zu können. Dann etwas dumpfes, ein klatschen. Fast wie ein Schlag ins Gesicht. Ich kneife die Augen zusammen. als ich Verdammt es geht nicht. Ich stehe auf und spähe durch den Spalt zwischen meinen Vorhängen. Das Licht der Laterne blendet mich. Ich kann nichts erkennen. Ich mache meine Nachttischlampe aus. Will nich, dass jemand sieht, dass ich noch wach bin. Der Wecker zeigt Mitternacht. Ich lausche. Das Weinen wird lauter. Auch das Gebrüll der Männer. Das muss doch verdamt nochmal jemand hören. Ich habe Angst.
Plötzlich wird es still. Totenstill. Ich bekomme Panik.
Doch dann höre ich gegenüber die Tür aufgehen. Jetzt, ganz deutlich: Kinderschreie. Die Schreie vieler Kinder. Und sie Stimme einer Frau. Hektisch. Abgehackt. "Bitte kommen Sie. Schnell. Ich glaube, die bringen sich da oben um."
Scheiße.
...
Eine Schrecksekunde. Vielleicht zwei. Dann springe ich aus dem Bett. Scheiß auf BH oder Schuhe, 'ne Hose muss reichen. Ich schnappe mir die Wohnungsschlüssel und renne auf die Straße.
Da auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen sie. Eine Frau mit; ich muss schlucken; sechs kleinen Kindern an der Hand. Die Jüngste höchstens zwei Jahre alt. Sie weinen, brüllen, schreien aufgeregt durcheinander, während die Frau immer noch aufgelöst in ihr Handy spricht. Ich nähere mich ihnen vorsichtig.
"Entschuldigen sie.. Brauchen sie Hilfe?" Die Kinder verstummen auf die Sekunde und starren mich mit großen Augen an. Hastig wendet sich die junge Frau mir zu. Ihre strähnigen Haare sind blond gefärbt. Der Ansatz wächst bereits deutlich dunkler nach. Sie hat tiefe Ringe unter den Augen. Und sie ist dünn. Erschreckend dünn. "Ja. Bitte. Da oben. Mein Mann. Eifersüchtig. Hat mich geschlagen. Sind geflüchtet. Raus hier. Nur raus hier." Unzusammenhängende Worte sprudeln aus ihrem Mund während sie mich entsetzt ansieht. "Ein Freund von uns. Seine Kinder. Eifersüchtig. Messer. Die bringen sich um." Und immer wieder: "Die bringen sich um". Ich denke nicht nach. Schaue in die Gesichter der Kinder. Keins scheint verletzt. Gut. "Kommen sie. Wir gehen rüber in unseren Hausflur. Da sind sie sicherer falls der Typ runter kommt." Mir wird kalt. Falls der Typ runter kommt.
"Okay okay. Gehen wir." Hektisch packt sie zwei der Kinder am Ärmel. Den Rest treibt sie vor sich her. Wir hasten über die Straße.
Ich will das Licht ausmachen. Will, dass sie die Tür schließt. Aber sie möchte ihren Hauseingang beobachten. Ich traue mich nicht, etwas zu sagen. Lass ihn nur nicht runterkommen. Er darf bloß nicht sehen, wo ich wohne und seine Frau und Kinder verstecke. Bloß nicht. Ich zittere.
Alles ist still. Die Kinder um mich herum schauen mich an. Große Kulleraugen, die noch tränenfeucht glänzen. Ich hocke mich zu ihnen. "Hallo. Also ich bin Lisa und wie heißt ihr?" Ein aufgeregtes Geplapper entsteht. Jeder will zuerst. "Ich bin Jerome." "Ronny." "Ich heiße Jaquline." "Pascal." "Justin." "Und das da ist Jenny." Der Kleinsten fällt der Schnuller aus dem Mund. Ich muss lächeln.
"Schhhhhh!!" fährt die Mutter sie an. Augenblicklich verstummen die Kinder vor meinen Augen. Hey nicht so aggressiv. Sei froh, dass ich deine Blagen ablenke und sie nicht mehr heulen! Aber ich will mich ja nicht in die Erziehung anderer Leute einmischen. Wann kommt bloß dieses verdammte Polizeiauto?
"Ich komme nach den Ferien in die Schule." "Oh wirklich? Und freust" "Wir sind sogar schon in der zweiten Klasse!" "Wow. Das ist ja" "Guck mal ich hab Hello Kitty Socken." "Oh die sind aber" "Zu meinem Geburtstag bekomme ich ein Fahrrad." "Pscht! Jetzt seid verdammt nochmal leise!!" Erschrocken heben wir sieben die Köpfe. Ich habe mir noch nie von jemandem so den Mund verbieten lassen. Immerhin ist das hier mein Hausflur. Sie sollte lieber froh sein, dass.. Ein Polizeiauto biegt fast lautlos um die Kurve. Nur zu erkennen an seinem schleichenden, suchenden Tempo. Aufgeregt springt sie aus meinem Hausflur heraus auf die Straße und winkt mit den Armen. Ich bleibe bei den Kindern stehen. Sie redet auf die Polizisten ein. Gestikuliert wild. Deutet immer wieder nach oben. Dreht sich kein einziges Mal zu uns um. Die Polizisten betreten das Gebäude. Sie bleibt noch einen Moment lang unschlüssig stehen, kommt dann zu uns zurück. "Ist am besten wenn ich jetzt reingehe und meine Sachen hole, oder? Jetzt wo die Beamten da sind kann ja nichts passieren." "Hm ja. Ja ist wahrscheinlich besser so." Und die Sachen von den Kindern? "Haben sie denn einen Platz wo sie heute Nacht hinkönnen?" "Nein. Hab ich natürlich nicht!" "Hm." Ich würde ihr unser Wohnzimmer anbieten. Würde ich wirklich tun. Nicht für sie. Für die Kinder. Aber kann ich natürlich nicht. Mein Papa würde mich lynchen.
"Also wir gehen jetzt da rüber. Zack Zack." Sie packt die Kinder an den Händen und erneut hasten sie über die Straße. Nur diesesmal ohne mich.
...
In Sekundenschnelle sind sie im Schatten des hohen Gebäudes verschwunden. Ich bleibe noch ein paar Minuten im Hauseingang stehen. Barfuß. Und zitternd. Als wäre ich eins ihrer Kinder, dass sie vergessen hat.
Schließlich schließe ich die Tür. Drehe den Schlüssel zweimal im Schloss herum und tapse zurück in mein Zimmer. Ich lausche durch die Dunkelheit nach draußen. Doch jetzt, ist nichts mehr zu hören. Irgendwann fährt ein Auto davon. Ob sie mitgefahren oder geblieben sind, weiß ich nicht.
Deswegen mag ich Bücher. Da erfährt man, wie die Geschichte endet.

Freitag, 9. Mai 2014

Und das Schlimmste daran ist, dass du all das hier, niemals lesen wirst.

Ironie.

Es ist schon komisch. Dienstagabend wollte ich unbedingt schlafen gehen, weil ich hoffte, dann von dir zu träumen. Mittwochabend hatte ich Angst schlafen zu gehen, weil ich wusste, ich würde dann von dir träumen.
Wie sich die Welt innerhalb eines Tages auf den Kopf stellen kann.

Und wir stoßen an, auf den Sommer, der unserer hätte werden können.

Perspektivlos dümpel ich durch mein Leben.
 Eine Flaute. Kein Land in Sicht
Ertränke die langen Wochenenden in Langeweile und Tränen.
 Ein Ozean. Tief, endlos und dunkel.
Schreibe hundert Sms, von denen keine jemals abgeschickt werden wird.
 Eine Flaschenpost. Niemand wird sie lesen.
Lasse die Tage in Arbeit versinken, nur um nicht denken zu müssen.
 Ein Loch. Das geflickt werden muss.
Suche nach alternativen Beschäftigungen.
  Ein Schiff. Das nicht untergehen darf.
Weiß nichts mit mir anzufangen.
 Ein Seemann. Der seinen Kompass verlor.

Zwischen "Vermiss mich nicht" und "Vermiss mich ein bisschen"

Und immer wenn ich deine gut gelaunte Fresse sehe, könnte ich reinschlagen.
Dich durch deinen Lieblingsclub gehen sehe. Der einmal unserer war.
Und immer wenn ich dein blödes Lachen höre, könnte ich kotzen.
Dich mit deinen Freunden reden höre. Die einmal unsere waren.

Wie lange hast du mich vermisst? Hm, wie lange hast du gebraucht um über mich hinwegzukommen? Eine Stunde? Zwei? Mit Sicherheit nicht länger.
Als ich leergeweint auf dem kalten Fußboden saß, was hast du da gemacht? Mit deinen Freunden gekifft? Fernsehen geguckt? Schon die Nächste gevögelt? Mit Sicherheit nichts cooles.

Am Anfang ist man tot.
Von Innen.
Dann nur noch leer.
Dann denkt man, man sei schon darüber hinweg.
Für ein paar glückliche Tage.
Und dann versteht man.
Versteht, dass es immer noch weh tut.
Viel mehr als am Anfang.
Und man weint.
Viel mehr, als man jemals gedacht hätte.
Am Ende ist man still.
Für immer.

Wir hätten richtig gute Freunde sein können. Und das ist das Behindertste an der ganzen Sache. Du hast mir meinen besten Freund weg genommen. Scheiß auf Beziehung. Das ganze Geknutsche und Händchenhalten ist mir egal. Was mir wichtig war, warst du.


All' das würd ich dir sagen, wenn du mir was bedeuten würdest. Tust du nicht. Ich lieb' dich nicht und es ist gut wie es ist.

___
Gefühlsmatsch mit Songzitaten von Heisskalt und Kraftklub.

Montag, 5. Mai 2014

Das Teleskop



Meine Mutter rief mich zum Essen. Oder zum Spülmaschine ausräumen. Vielleicht auch zum Wäsche aufhängen. Ich hatte keine Ahnung. Sie rief halt irgendwas, aber das interessierte mich nicht sonderlich. Die Tür hatte ich abgeschlossen, obwohl ich wusste, dass sie keine Lust haben würde, zwei Treppen hoch zu steigen, nur um mich nach unten zu bekommen. Ich konnte mir meiner Ruhe sicher sein.
Ich nahm mein Teleskop wieder zur Hand, von dem ich mich kurz abgewandt hatte, um zu lauschen, ob sie nicht doch hoch kommen würde. Tat sie nicht.
Ich hatte das Teleskop von meinem Vater bekommen, als er ausgezogen war. Mit der Versprechung, dass wir immer noch die Sterne zusammen vom Himmel holen könnten, auch wenn er jetzt bei Sabine lebte. Inzwischen war ich elf Jahre älter und hatte noch immer keinen einzigen Stern.
Aber ich hatte eine andere, definitiv ergiebigere, Verwendung für das Teleskop gefunden.
Ich blickte also erneut durch das Objektiv, stellte es scharf und dann sah ich sie. Sie saß am Schreibtisch vor ihrem Laptop und spielte mit ihren Haaren. Dabei bewegte sie rhythmisch den Kopf, so als ob sie Musik hören würde. Ich beobachtete sie. Ab und an warf sie den Kopf in den Nacken und lachte. Ich fragte mich mit wem sie schrieb, der sie so zum lachen brachte. Ich wurde eifersüchtig.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir dass es halb elf war. Ich hatte also noch eine halbe stunde Zeit.
Also schloss ich die Tür auf und trabte die Treppe hinunter, um, was auch immer meine Mutter mir aufgetragen hatte, zu erledigen.

Pünktlich um elf war ich zurück und stellte mich wieder vor mein Teleskop. Meiner Mutter hatte ich Gute Nacht gesagt und sie in der Annahme gelassen ich würde vom heutigen Training tot müde ins Bett fallen.
Die Tür schloss ich trotzdem ab.
Ich richtete das Teleskop aus, um an dem störenden Baum auf der anderen Straßenseite vorbeischauen zu können und blickte dann hindurch.
Sie klappte gerade ihren Laptop zu und schloss nun ebenfalls ihre Zimmertür.
Dann fing sie an sich ihr Shirt über den Kopf zu ziehen. Sie trug denselben BH wie gestern. Den roten. Als sie begann sich die Jeans aufzuknöpfen glitt meine Hand automatisch in meine Hose.
Als sie nur noch in Unterwäsche da stand, ging sie zum Spiegel und betrachtete sich darin. Ich liebte sie dafür, dass der Spiegel zum Fenster ausgerichtet war.
Ihre Musik lief noch und als sie sich den BH auszog begann ich im Rhythmus ihrer Bewegungen zu massieren. Es fühlte sich gut an. Besser als am Vorabend. Da hatte sie keine Musik laufen.
Sie langte zu ihrem Bett hinüber und striff sich das viel zu große Oberteil über den Kopf. Sollte wohl so was wie ein Nachthemd darstellen. Ich mochte es nicht.
Kaum hatte sie den Raum verlassen war der Zauber erloschen. In meinem Kopf schien nur noch leise ihre Musik nachzuhallen. 
Ich wartete. Zehn Minuten später erschien sie wieder im Raum. Sie löschte das Licht und ließ das Rollo herunter.
Ende der Show.

Ich zog mir die Hose aus und versteckte meine feuchte Boxershorts unterm Bett. Dort stieß ich gegen die der letzten Tage. Ich musste sie dringend irgendwie unauffällig waschen, sonst konnte ich mir demnächst die rosa Unterhosen meiner Mutter ausleihen.

Am nächsten morgen klingelte mein Wecker um halb sechs und ich baute mein Teleskop auf. Pünktlich um sechs ging drüben ihr Rollo hoch. Ich sah, wie sie sich, zerzaust wie sie war, ein Handtuch aus ihrem Schrank nahm und aus dem Zimmer tapste. Die Tür ließ sie offen stehen.
Jetzt hieß es hoffen. Und warten. Aber vor allem hoffen.
Als sie wieder kam trug sie die schwarze Jeans vom Vortag und ein blass lila Top mit grauer Strickjacke darüber. Sie hatte sich im Bad angezogen. Ich hasste die Wintermonate.
Frustriert stellte ich das Teleskop an die Wand und ging meinerseits ins Badezimmer.

Nach der Schule kam Basti mit zu mir. Es hatte Pizza zu Mittag gegeben und meine Laune hatte sich gebessert. Wir kickten den ganzen Nachmittag draußen auf  der Wiese hinterm Haus und als wir uns abends unseren Lieblingshorrorfilm ansahen, hatte ich ganz vergessen wie spät es war.
Ein flüchtiger, mehr zufälliger Blick auf die Uhr ließ mich hochschrecken. Meine Augen huschten fahrig zum Teleskop, zum Fenster und wieder zurück zum Teleskop.
Basti legte den Kop schief und schaute mich an: „Was geht’n mit dir?“ fragte er und lachte. In meinem Kopf ratterten die Gedanken. Ich wollte sie sehen. Ich musste sie sehen. Und Basti war schließlich mein bester Freund, oder?! Also fasste ich einen Entschluss und fing an das Teleskop aufzubauen.
„Was machste denn jetzt?!“ fragte Basti genervt. „Auf Sterne glotzen hab ich jetzt echt keinen Bock. Such dir ne Perle und mach das mit der.“
„Ich muss dir was zeigen“, sagte ich nur und stellte das Objektiv scharf.
Da war sie.
Sie saß vor ihrem Laptop, wie jeden Abend, und ich konnte ihre Finger erkennen, die eifrig über die Tastatur huschten.
Es waren wunderschöne Finger. Kleine dünne, mit violett lackierten Nägeln. In meinen Gedanken saß sie auf mir und ihre wunderschönen Finger glitten meinen Oberkörper hinab. Ich seufzte.
„Alter!“ Bastis Stimme riss mich aus meinen Gedanken. In meiner Hose konnte man schon jetzt eine deutliche Wölbung erkennen. Ich verschränkte die Beine.
Basti trat näher und ich überließ ihm das Teleskop.
„Wow. Ist das die Neue von Gegenüber?! Krass! Alter, alter sie zieht sich aus! Wow guck dir das an! Die zieht sich echt aus!“ Ich stieß Batsi beiseite. Das war meine Show. Angespannt presste ich mein Auge vor das Objektiv um ja nichts zu verpassen. Ihr Oberteil lag schon auf dem Boden. Heute trug sie den weißen BH mit dem winzigen Schmetterling an der Seite. Den hatte ich am liebsten.
Jetzt öffnete sie ihren BH und ließ ihn ebenfalls auf den Boden fallen. Nur in Jeans stand sie da und betrachtete sich im Spiegel. Versonnen kaute sie auf einer Haarsträhne herum während sie ihre Brüste betastete. Alles in und an mir kribbelte. Noch nicht jetzt, betete ich. Noch nicht jetzt.
Neben mir begann Basti zu drängeln. Die Wölbung in meiner Hose war jetzt nicht mehr zu verdecken. Ich tastete mit den Händen nach meinem alten Piratenfernglas aus Kindertagen und warf es in die Richtung in der ich Basti vermutete. Mein Blick war immer noch wie festgeklebt durch das Teleskop gerichtet.
Langsam begann sie nun ihre Jeans aus zu ziehen. Ab und an hielt sie inne und betrachtete sich. Meine Hand  hatte inzwischen, ohne dass ich es bemerkt hatte ihren Weg in meine Hose gefunden.
Sie stand nun nur noch in Unterhose vorm Spiegel und begann sich die Haare zu bürsten. Lange dunkelblonde Locken flogen durch die Gegend als sie diese ausschüttelte. Dabei fiel ihr die Bürste runter und sie musste sich vor beugen, um sie aufzuheben.
Basti kam zuerst.
Ich hörte ihn neben mir stöhnen. Seine Hand war ebenfalls nicht mehr da, wo sie hingehörte und  er war wie wild am rubbeln. Plötzlich ekelte ich mich. Ich ließ das Teleskop los und stieß Basti heftig gegen die Schulter. „Lass den Scheiß man! Sie ist kein Porno!“ Basti guckte mich schräg an, noch ganz vernebelt, und entgegnete: „Du bespannst sie doch regelmäßig. Nicht ich.“ Das war zu viel. Ich war kein Spanner.
„Verpiss dich!“ Ich hörte mich brüllen und wusste doch nicht, dass ich es war.
Drei Minuten später konnte ich Basti durch mein Teleskop auf der Straße nach Hause laufen sehen. Er blickte nach oben und hielt mir seinen ausgestreckten Mittelfinger mitten vor die Linse.
Ich glaube ich hasste ihn.
Das Teleskop baute ich ohne einen  weitern Blick hindurch ab.

Der Wecker klingelte wieder um halb sechs. Ich wollte ihn am Vorabend ausgestellt haben, hatte es dann aber wieder vergessen. Ich schwang die Beine aus dem Bett, blieb dann aber ratlos auf der Bettkante sitzen.
Für manche waren es Zigaretten, für andere Alkohol oder Drogen. Na ja und für mich…
Und außerdem war ich eh schon wach. Ich begann mein Teleskop aufzubauen, aber ich fühlte mich nur halb so gut wie sonst dabei.
Doch als ich von Gegenüber das Geräusch eines Rollladens vernahm, presste ich mein Auge so schnell gegen das Objektiv, dass es wehtat.
Heute trug sie ein figurbetontes hell blaues Nachthemd in dem ihre Kurven wunderbar zur Geltung kamen. Sie stieg auf ihren Drehstuhl um sich ein Handtuch aus dem Schrank zu hohlen. Und als sie sich streckte zeichnete sich deutlich ihr Hintern durch den dünnen Stoff ab.
Ich bereute nichts.
Doch plötzlich fing der Stuhl an zu rollen und rutschte ruckartig nach hinten. Sie kippelte, griff nach der Schrankkante, verfehlte sie nur um Millimeter und stürzte vom Stuhl.
Ich hielt den Atem an. Ich wartete darauf, dass ihr strubbeliger Blondschopf wieder in meinem Blickfeld auftauchte. Ich presste mein Auge an das Objektiv und wartete.
Meine Hand war das erste Mal seit Wochen nicht in meiner Hose, wenn ich durchs Teleskop schaute. Nervös kaute ich auf meinen Fingernägeln herum.
Warum zum Teufel stand sie nicht wieder auf? Vielleicht war sie aufs Bett gefallen und einfach wieder eingeschlafen. Oder ich hatte nicht bemerkt wie sie aus dem Zimmer gekrabbelt war weil sie keine Lust hatte aufzustehen. Oder vielleicht hatte ich geblinzelt.
Ich hatte Angst.
Kamen Spanner in den Knast obwohl sie damit vielleicht ein Leben gerettet haben?!
Aber ich war ja kein Spanner.
Also ging ich duschen.
Das Teleskop ließ ich stehen.

Als ich nach der Schule nach Hause kam war ich nervös. Ich wollte direkt hoch in mein Zimmer ans Teleskop. Doch meine Mutter hielt mich auf.
„Hast du es schon gehört? Das Mädchen von gegenüber ist heute Morgen gestürzt. Als ihre Eltern sie gefunden und den Krankenwagen gerufen haben war es schon zu spät. Ist das nicht schrecklich? Versprich mir, dass du dich niemals auf Drehstühle stellst. Ja Schatz?!“
Ich murmelte irgendwas und rannte dann die Treppe hoch in mein Zimmer. Ich brauchte nur einen Blick durch das Teleskop werfen, um die Situation zu erfassen.
Ihr Rollo war heruntergelassen. Sie ließ ihr Rollo sonst tagsüber nie runter.
Ich stellte das Teleskop zur Seite. Hockte mich hin und griff unters Bett.
Als ich meine Boxershorts im Waschbecken wusch, war das Wasser salzig.

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Hab 'ne alte Geschichte von mir wieder gefunden. Was sagt ihr dazu? Hab mich ein bisschen vor mir selbst erschreckt als ichs gelesen habe.