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Montag, 4. August 2014

Langsam

Du fielst mir zum ersten Mal in dem kleinen Café unten an der Straßenkreuzung auf. Damals wusste ich noch nicht wieso. Es lag nicht an deiner Kleidung, du trugst das gleiche, wie alle Serviererinnen des Cafés. Auch nicht an deinen Haaren. Ein schlichter Pferdeschwanz. Nichts auffälliges. Es lag nicht einmal an irgendeiner besonderen Ausstrahlung, die du gehabt hättest. Und dennoch, du fielst mir auf. Direkt als ich das Café betrat.
Ich war hier mit Bea verabredet. Sie hatte gesagt wir müssten "reden". Ich wusste bereits jetzt, worauf das hinaus laufen würde. Mir war schlecht. Doch ich war vorbereitet.
Während sie redete, betrachtete ich die gesamte Zeit meine Schnürsenkel. Ich zählte die abstehenden Fransen, verfolgte das Schnürmuster mit den Augen und tat alles, um diese Schnürsenkel interessanter wirken zu lassen als ihre Worte. Wollte ihr zeigen, dass es mich nicht im geringsten berührte, wenn sie "es einfach nicht mehr spüre" oder fand, dass ich mehr "ein Freund" für sie war. Es sollte bedeuten, dass es mir egal war, dass wir uns "auseinander gelebt" hatten.
Als sie aufstand und ging sagte sie "Es tut mir leid; wirklich.". Aber ich konnte die Erleichterung in ihren Augen sehen. Ich nahm es ihr nicht übel. Wir waren ein schreckliches Paar gewesen. Dennoch. Ich fühlte mich leer als sie das Café verließ.
Ich starrte auf meine Schnürsenkel und hasste sie dafür, dass sie nicht interessant genug waren um meine Gedanken zu übertönen. "Tschuldigung. Möchtest du vielleicht noch etwas trinken?" "W..wwwas?" Ich schreckte hoch. "Ob du noch etwas zu trinken magst. Du siehst aus, als könntest du einen wirklich starken Kaffee vertragen." Sie lächelte. "Ehm.. Also eigentlich.. Ach ja komm scheiß drauf warum nicht. Am besten kippst du gleich ne Pulle Schnaps mit rein." Ich wollte witzig sein. Doch mein Grinsen verrutschte.
Als du zurück zur Theke gingst blickte ich dir hinterher. Irgendetwas an dir faszinierte mich, aber ich konnte immer noch nicht sagen was (Und nein, es war nicht nur dein Hintern.).

Ich weiß, es klingt komisch, aber von diesem Tag an ging ich ständig in das kleine Café unten am Eck, nur um dich zu sehen. Ich war frisch getrennt und eigentlich trafen sich hier immer nur Omis zum Kuchen essen, aber ich konnte einfach nicht anders. Es war als würde mich etwas an dir magisch anziehen.
Auf Dauer schlugen diese Ausflüge ziemlich auf meinen Geldbeutel. Doch du schienst mich zu mögen und deswegen bekam ich an besonders guten Tagen (Oder wenn deine Chefin nicht im Haus war) auch mal den ein oder anderen Kaffee spendiert.
Es war als würde ich eine Studie über dich betreiben. Ich saß zwei Stunden lang einfach nur da und analysierte alles an dir. Von deinen Augen (Sie waren braun. Nicht blau wie Beas) über deine Figur (Wunderschön kurvig aber definitiv keine atemberaubenden Modelmaße) bis hin zu deinen Schuhen (Hellblaue Converse. Und ich war mir sicher dass Bea das gleiche Paar im Schrank hatte). Doch nichts war dabei, was mir erklären könnte warum ich so dermaßen auf dich abfuhr. (Und das tat ich. da war ich mir sicher)

Es sollte drei Wochen ständiger Beobachtung brauchen bis ich es (durch Zufall) heraus fand. Deine Chefin (eine garstige, alte Frau mit Dauerwelle und falschen Fingernägeln) schnautze dich quer durchs Geschäft an. "Verdammt Annabell, der ganze Laden ist voller Kundschaft und du hast noch nichteinmal die Hälfte aller Tische bedient! (Da musste ich ihr leider Recht geben. Es war Sonntagnachmittag. Das Café war gerammelt voll und überall saßen dicke Omis mit ihren quengelnden Enkeln, die nach Kuchen verlangten.) Wenn das so weiter geht, dann muss ich mir hier echt wen anders suchen. Du bist einfach viel zu langsam!!"
Und da machte es 'klick' bei mir. Langsam. Das klingt jetzt vielleicht verrückt, aber genau das war es. Du warst langsam.
Ich war drei Jahre mit Bea zusammen gewesen und von Anfang an war alles ganz schnell gegangen. Unsere Freunde hatten uns einander vorgestellt. Sie machte klar, dass sie an mir interessiert war und 'schwups' hatten wir eine Beziehung. Wie das passiert ist, weiß ich bis heute nicht. Nach grade mal vier Monaten zog sie bei mir ein "Das wurde auch endlich mal Zeit, wir haben mit diesem Schritt schon viel zu lange gewartet."  Wenn wir irgendwo eingeladen waren, war immer ich es, der zu lange im Badezimmer blieb und sie diejenige, die drängelte, wir würden zu spät kommen. Ihr Fahrstil war hektisch und rasant und ihre Schritte und Handlungen schienen immer genau darauf abgestimmt, alles möglichst schnell und ohne großen Zeitverlust zu erledigen. Sogar der Sex war irgendwie immer früh zu Ende (Und ich kann dir versichern, das lag nicht an mir!). Es war, als versuchte sie ihrem eigenen Leben davon zu laufen.
Und dann begegnte ich dir. Grade Bedienungen sind immer dazu angehalten möglichst zügig und präzise zu arbeiten, damit alle Kunden ihre Wünsche schnell erfüllt bekommen. Aber du warst anders. Du schlendertest durch das Café, als hättest du alle Zeit der Welt. Hieltest hier ein Pläuschen mit Oma Gertrud, nahmst dir dort Zeit um Opa Puschkin auf seinen Stuhl zu helfen und bliebst manchmal einfach mittendrin stehen um dem Treiben auf der Straße zuzusehen. Ich fürchte du warst die schlechteste Bedienung der Welt. Doch ich liebte diese Art an dir.

Also beschloss auch ich mir zum ersten Mal seit drei Jahren wieder Zeit für etwas zu lassen. Ich ging zwei Monate lang mehrmals wöchentlich ins Café ohne auch nur jedesmal mehr als zwei, drei Sätze mit dir zu wechseln. Dann, nach neun langen Wochen fragte ich dich, ob du mit mir ausgehen würdest. Die Zeit in der du über diese Frage nachdachtest kam mir vor wie Jahre. "Solange wir nicht in ein dämliches Café gehen gerne." Ich weiß nicht, wer von uns Beiden in diesem Moment breiter grinste.

Wir gingen Rudern im Stadtpark. Fütterten die Enten am Rand des Sees und ich brachte dir bei, wie man die flachen Steine werfen muss, damit sie auf dem Wasser auftitschen. Da du so geduldig zuhören konntest hattest du den Dreh innerhalb weniger Versuche raus. Ich wusste nicht wann Bea mir das letzte Mal andächtig zugehört hatte ohne mich zwischendrin zu unterbrechen.
Als ich dich Abends nach Hause brachte, brannte alles in mir danach dich zu küssen. Doch ich schwor mir ich würde es langsam angehen lassen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie stolz ich danach auf mich war, dass ich mich nicht dazu verleiten lassen habe. Und ich stellte fest: das Gefühl gefiel mir. Ich hatte etwas nicht sofort abgearbeitet, sondern es mir für später aufgehoben. Ich hatte mir etwas behalten, auf das ich mich jetzt freuen konnte.
Ich küsste dich erst nach unserem dritten Date. Und es war gut so. Auch wenn ich kurz verwundert war, als du danach lächelnd flüstertest "Das wurde aber auch mal Zeit." Ich glaube du hast selber nie gemerkt wie langsam du warst, und was das für einen Einfluss auf mich hatte.
Sogar deine Bewegungen waren langsam. Fast anmutig. Für einen Spaziergang um den See brauchte ich mit dir fast zwei Stunden und nicht nur eine, so wie sonst mit Bea. Es faszinierte mich, wie oft du stehen bliebst um etwas zu betrachten. Sei es ein Schmetterling auf einer Blume oder ein Marienkäfer der an uns vorbei flog. In meiner frühreren Eile wäre mir so etwas niemals aufgefallen.

Mit dem Sex wartete ich, bis wir offiziell zusammen waren und dann noch ein paar Wochen danach. In meinen fast dreißig Lebensjahren hatte ich noch nie eine Freundin, mit der ich nicht schon geschlafen hatte, bevor wir überhaupt zusammen waren. Und ich genoß es. Die Vorfreude auf Etwas, machte die Sache nur noch viel bedeutender für mich. Du hattest mich Abwarten und geduldig sein gelehrt, ohne dass es dir je bewusst gewesen wäre.
Die sieben Jahre, die wir zusammen waren, war (und das kann ich mit voller Bestimmtheit sagen) die ruhigste und angenehmste Zeit, die ich bis dahin jemals in meinem Leben hatte. (Du warst die langsamste Braut, die jemals zum Altar geschritten ist. Was vielleicht nicht nur an deiner Art, sondern auch an deinem dicken Bauch gelegen haben könnte.)

Der 30. Mai war ein sonniger Tag und wir hatten beschlossen in der Stadt bummeln zu gehen. Vielleicht noch ein paar letzte Besorgungen für das Kinderzimmer machen.
Ich habe das Auto früh genug gesehen. Zwei lange schnelle Schritte und ich hatte den gegenüberliegenden Bordstein erreicht. Doch du warst stehen geblieben, mitten auf der Straße, in deinem langen sonnenblumengelben Kleid, um einem Vogel nachzusehen. Es war ein Spatz. So nanntest du mich manchmal. Vermutlich wolltest du mich darauf aufmerksam machen.
Die Frau im Auto telefonierte. Sie hatte es sehr eilig zu ihrem Geschäftstermin zu kommen. Außerdem versuchte sie noch etwas Zeit zu gewinnen, in dem sie knapp ("knapp, aber auch wirklich nur ganz knapp" wie sie später im Gerichtssaal beteuerte) über dem Tempolimit fuhr. Ich konnte nichts machen. War viel zu langsam und das Auto viel zu schnell. Du wurdest durch die Luft geschleudert und wie in Zeitlupe (was ironischerweise genau zu dir und deinem Wesen passte) sah ich dich durch die Luft in Richtung Boden segeln.
Den weiteren Ablauf will ich dir lieber nicht schildern. Dafür bin ich nicht hergekommen. Ich wollte dir nur sagen, dass sie das Baby gerettet haben. Sie wurde heute entlassen. Ein Frühchen. Klein und Dünn. Aber gesund. Und am Leben. Ich habe sie Pia genannt. Pia. Piano. Spanisch. Langsam, Sachte. Ich dachte das würde dir gefallen.


Der Mann, der sich langsam vor dem Grabstein erhob wirkte gebrochen. Er stützte sich auf dem kalten Mamor ab. Sein Oberkörper bebte und zitterte. Doch als er sich gefangen hatte, wandte er sich zu dem sonnenblumengelben Kinderwagen neben ihm. Als er das Kind heraus hob, wirkte er plötzlich wieder viel stärker und lebendiger. Mit sanften Bewegungen hielt er das Mädchen so, dass es Richtung Himmel schauen konnte. Es lächelte. Vater und Tochter; sie beide strahlten eine unglaubliche Ruhe und Beständigkeit aus, wie sie einfach nur dort standen und dem Wind in den Bäumen lauschten.


Diese Geschichte ist ein Apell langsamer zu leben in dieser, unserer schnellen und hektischen Welt. Verpasst nicht euer Leben, in dem ihr versucht möglichst viel Zeit zu gewinnen. Haltet lieber öfter zwischen den Augenblicken inne und genießt den Moment.
Doch passt auf, dass ihr dabei nicht zu langsam werdet. Lasst die anderen nicht zu weit vorlaufen und verwechselt Beständigkeit und Innehalten nicht mit Träumen. Achtet auf das, was um euch herum passiert. Seid langsam. Aber seid dabei hellwach. Schließlich sollt ihr euer Leben auch nicht verschlafen.

1 Kommentar:

  1. einfach nur wow! ich weiss jetzt, warum ich es nicht schlimm finde, dass so viele leute gutgemeint sagen, dass ich ein entspannter mensch bin.

    ich liebe die worte, die du an das ende der geschichte gesetzt hast, sie sprechen mir echt aus dem herzen!!

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