Hitze. Hunger. Durst. So großer Durst. Ich sitze am Fenster der kleinen Lehmhütte und starre hinaus. Unfähig mich zu bewegen. Draußen flimmert die Luft über dem trockenen Boden. Er ist rissig geworden. Neben der Hütte steht ein Kaktus. Oder das, was davon übrig geblieben ist. Braun ist er geworden. Beinahe grau. Auf eine kümmerliche Größe zusammengeschrumpft und löchrig wie das Dach unserer Hütte. Ich habe noch nie zuvor einen vertrockneten Kaktus gesehen.
Der Anblick der toten Pflanze macht mir Angst und ich wende den Blick ab. Doch vor meinem inneren Augen laufen jetzt Bilder ab. Schreckliche Bilder. Von vertrockneten Menschen, die von der Hitze verkohlt wurden. Leere Augenhöhlen, nur noch graue Löcher. Eingegangen, weil ihre Körper nicht mehr mit ausreichend Flüssigkeit versorgt werden konnten. Montag waren unsere Wasservorräte aufgebraucht gewesen. Die Wasservorräte von denen ich 17 Jahre lang gelebt habe und die jedes Mal die Trockenzeit überstanden haben. Leer. Bis auf den letzten Tropfen ausgeschöpft. Mittlerweile ist es Freitag. Oder auch schon Samstag. Ich weiß es nicht mehr. Will es auch gar nicht genau wissen. Was spielt es denn auch für ein Rolle? Nachdenken ist schwierig. So schwierig.
Etwas greift nach meiner Hand. Ich drehe den Kopf und schaue hinunter auf Lalou. Abgemagert wie wir alle liegt sie da. Meine kleine Schwester. Ihr Haut hängt schlaff über ihren Rippen. Wie durch dreckiges Pergament scheinen ihre Knochen hindurch. Jeder Einzelne. Sie scheint so brüchig, dass ein Windstoß sie umwerfen könnte. Ach was würde ich für einen Windstoß geben. Eine kühle Briese. Denn wo ein Windstoß ist, ist auch ein zweiter. Und wo zwei Windstöße sind, da entsteht Sturm. Und wo Sturm ist, da ist auch Regen. "Suki" flüstert ein zartes Stimmchen neben mir. Ich hole meine Gedanken zurück. "Suki. Mir ist so warm." Sie nuschelt. "Ich habe Durst." Ich beuge mich zu ihrem Bett herunter "Ich weiß Kleines. Ich weiß. Bald wird es regnen. Du wirst schon sehen. Halte nur bis dahin noch durch." Ich drücke ihre zarten Finger und versuche ihr zuzulächeln. Sie ist stark. So stark. Nicht viele Siebenjährige überleben fünf Tage in der unerträglichen Wüstenhitze ohne einen Tropfen Wasser. Nanouk von gegenüber ist gestern gestorben. Ihr Bruder heute Morgen. Ich habe Angst. Schreckliche Angst. Aber ich lächele. Sie muss durchhalten.
Ich beginne wieder aus dem Fenster zu schauen. Am blauen Himmel über uns ist nicht eine Wolke zu sehen und die Sonne scheint unerbittlich auf uns herab, als wolle sie uns auslachen. Ich beiße mir auf die Lippen um die Tränen zurück zu halten. Unnötiger Flüssigkeitsverlust.
"Suki." Fast unhörbar. Nichtmal mehr ein Flüstern. Ich beuge mich wieder zu Lalou herunter. "Hör auf zu reden Kleines, das strengt..." "Suki erzähl mir vom Regen." Ihr Gesicht glüht vor fiebriger Hitze. "Erzähl mir davon, wie es früher war; wie es sich anfühlt." Sie hustet. Ich schlucke und streiche ihr die nassgeschwitzten Haare aus der Stirn. So viel unnötiger Flüssigkeitsverlust. "Du solltest lieber versuchen zu schlafen."
"Bitte Suki." Und ich beginne zu erzählen. "Es fängt immer an mit einem großen Sturm. Die Wolken türmen sich auf und aus den ersten frischen Briesen werden bald kräftige Winde, die die Menschen aus ihren Hütten treiben und das Gras zum rauschen bringen. Die dichten Wolken verdunkeln den Himmel bis es fast nachtschwarz ist und dann irgendwann, wie auf ein unsichtbares Siganl hin öffnen sich die Schleusen des Himmels. Es fängt mit ein paar leichten Tropfen an, doch schon nach kürzester Zeit prasselt es wie eine Sinnflut auf den Boden herab. Die Menschen auf den Feldern beginnen zu tanzen. Sie treiben die Tiere hinaus und stellen ihre Wasserkanister mitten auf die Wege. Der trockene Boden saugt das Wasser auf wie ein Schwamm und schon bald können die ersten Kinder wieder im Matsch spielen. Der Regen scheint niemals aufhören zu wollen und alle Pflanzen beginnen zu sprießen. Die Felder werden wieder grün und die Bäume schlagen wieder aus. Und alle Menschen sind glücklich und feiern bunte Feste." Meine Tränen tropfen auf Lalous heißes Gesicht, doch ich wische sie nicht fort. Sie öffnet schwerfällig die Augen und schaut mich an. Ihr fiebriger Blick ist zum ersten Mal seit Tagen wieder klar. Sie spricht leise, nuschelt; doch ich kann sie trotzdem verstehen. "Suki", sagt sie. "Suki, draußen riecht es nach Regen." Und in dem Moment, da sie ihre Augen zum letzten Mal schließt beginnen die ersten Tropfen zu fallen.
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